Beschwerdeschrift

Die Beschwerdebegründung direkt in der Beschwerdeschrift

Wird in einer Familienstreitsache die nach § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG erforderliche Beschwerdebegründung mit der Einlegung der Beschwerde beim Erstgericht verbunden und geht die Beschwerdebegründung erst nach Ablauf der Begründungsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG beim Beschwerdegericht ein, weil das Erstgericht die Beschwerde nicht unverzüglich dem Beschwerdegericht vorgelegt hat, ist dem Beschwerdeführer von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren.

Nach § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat der Beschwerdeführer in Ehesachen und Familienstreitsachen zur Begründung der Beschwerde einen bestimmten Sachantrag zu stellen und diesen zu begründen. Der Beschwerdeführer muss demnach in der Beschwerdebegründung darlegen, in welchem Umfang er die erstinstanzliche Entscheidung angreifen will und wie er den Angriff begründet. Da § 117 FamFG keine speziellen Regelungen zum Inhalt der Beschwerdebegründung beinhaltet, beurteilt es sich nach den allgemeinen Grundsätzen, ob ein Beschwerdeantrag hinreichend bestimmt und ausreichend begründet ist 1. Deshalb können für den notwendigen Inhalt der Beschwerdebegründung im Wesentlichen die Anforderungen herangezogen werden, die für eine Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO gelten, auch wenn § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG nicht auf § 520 Abs. 3 ZPO verweist 2.

Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung die Erklärung beinhalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert der Zweck des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO nicht zwingend einen förmlichen Sachantrag. Durch die Vorschrift soll der Berufungskläger im Interesse der Beschleunigung des Berufungsverfahrens dazu angehalten werden, sich eindeutig über Umfang und Ziel seines Rechtsmittels zu erklären und Berufungsgericht sowie Prozessgegner über Umfang und Inhalt seiner Angriffe möglichst schnell und zuverlässig ins Bild zu setzen. Daher reicht es aus, wenn die innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll 3.

Danach sind die Anforderungen, die § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG an einen bestimmten Sachantrag stellt, erfüllt, wenn die Beschwerdebegründung erkennen lässt, in welcher Weise der angegriffene Beschluss abgeändert werden soll 4. Eine Schlüssigkeit der gegebenen Begründung ist nicht erforderlich 5.

Nach § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist die in Familienstreitsachen (§§ 112 Nr. 2261 Abs. 1 FamFG) erforderliche Beschwerdebegründung innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses beim Beschwerdegericht einzureichen (§ 117 Abs. 1 Satz 2, 3 FamFG). Zwar kann trotz der unterschiedlich geregelten Zuständigkeiten für die Einlegung (§ 64 Abs. 1 FamFG) und die Begründung (§ 117 Abs. 1 Satz 2 FamFG) der Beschwerde ein Verfahrensbeteiligter in einem Schriftsatz die Beschwerde einlegen und sie zugleich begründen 6. Für die Wahrung der Begründungsfrist ist jedoch allein der Eingang des Schriftsatzes beim zuständigen Beschwerdegericht maßgeblich 7. Die zunächst beim erstinstanzlichen Gericht eingereichte Beschwerdebegründung geht allerdings regelmäßig erst mit der Vorlage der Akten gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FamFG beim Beschwerdegericht ein 8. Macht ein Verfahrensbeteiligter von der Möglichkeit Gebrauch, die Beschwerde zugleich mit der Einlegung zu begründen, trägt er das Risiko, dass die Weiterleitung der Beschwerdebegründung verzögert erfolgt und die Beschwerdebegründung verspätet beim Beschwerdegericht eingeht 9.

Geht eine fristgebundene Rechtsmittelbegründung statt beim Rechtsmittelgericht bei dem erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses grundsätzlich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten 10. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden der Partei oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist 11.

Zwar hat grundsätzlich der die Wiedereinsetzung begehrende Beteiligte innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sein Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgemäß an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können 12.

Im vorliegenden Fall bedurfte es nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO weder eines Wiedereinsetzungsantrags noch der Darlegung und Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes, weil die Antragsgegnerin schon vor dem Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist mit ihrem – Beschwerde und Beschwerdebegründung enthaltenden – Schriftsatz vom 21.10.2010 die versäumte Verfahrenshandlung vorgenommen hatte und die Gründe für die unverschuldete Fristversäumung offenkundig waren 13.

Denn der verspätete Eingang der Beschwerdebegründung beim Oberlandesgericht beruhte allein darauf, dass das Amtsgericht seiner Verpflichtung gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FamFG zur unverzüglichen Weiterleitung der Beschwerde an das Beschwerdegericht nicht nachgekommen ist.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. Mai 2012 – XII ZB 375/11

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